Freitag, Oktober 26, 2007

Novosti zum Kurdenkonflikt

"Krieg in Kurdistan - das kleinste Übel?""

26/10/2007 14:30 MOSKAU, 26. Oktober (Jewgeni Satanowski für RIA Novosti). Die abermalige Nahostkrise, über die heute so viel gesprochen und geschrieben wird, ergibt sich aus den Beziehungen zwischen der Türkei und den Kurden.
Irakisch-Kurdistan ist noch kein Staat, wenn es sich auch darauf zu bewegt. Die Krise ist nicht global, eher partiell. Es gibt zahlreiche Vorhersagen in dem Sinne, dass sich ein erneuter solcher Krieg im Nahen Osten (oder der Mord an einem führenden Politiker oder die Tötung eines Terroristenanführers) zu einem undenkbaren Schrecken auswachsen werde. Doch wenn diese in der Presse fortwährend wiederholten Voraussagen Wirklichkeit würden, hätte die Welt wahrscheinlich schon aufgehört zu existieren.
Der zehnjährige Krieg der Kurdischen Arbeiterpartei gegen die Türken, der über 30 000 Opfer forderte, ein Krieg, in welchem einer der stärksten Armeen der Region mehrere Tausende Separatisten oder Terroristen widerstehen, davon über 3 000 vom Territorium Irakisch-Kurdistans und weitere 2 500 von Türkisch-Kurdistan aus, hat zweifellos ernste Hintergründe. Die Türkei, die Anfang des 20. Jahrhunderts beinahe schon von der Karte der Welt verschwunden (durch die Entente aufgeteilt worden) wäre, verteidigt ihre territoriale Integrität mit außerordentlicher Verbissenheit. Die Türken erkennen keine nationalen Minderheiten auf ihrem Territorium an. Sie halten die Kurden nicht für ein Volk für sich, sondern nennen sie Bergtürken. Und die harte Diskriminierung, der die Kurden mehrere Jahrzehnte lang ausgesetzt waren, hat natürlich ihre Früchte gebracht.
Übrigens geschah im Irak von Saddam Hussein mit den Kurden das Gleiche. Und das Gleiche geschieht auch in Syrien unter der Assad-Dynastie, in vieler Hinsicht das Gleiche geschah im Schah-Iran. Die Kurden sind ein zerstreutes Volk, und jene Dutzende Millionen Menschen, die auf dem Territorium dieser Staaten leben, und noch eine kleine Gruppe auf dem Territorium von Armenien empfinden ihre Rechte als geschmälert. Noch dazu hatte bereits der Völkerbund den Kurden einen eigenen Staat versprochen.
Kehren wir an die türkisch-irakische Grenze zurück. Beliebige terroristische Attacken, erst recht wenn dabei Militärangehörige sterben, werden beantwortet werden. Das wird eine harte, militärische und kompromisslose Antwort sein. Die Türkei führt keine Verhandlungen über ihre Gebietseroberungen. Eben deshalb hat sich die ganze Welt auf die Golanhöhen konzentriert, die Israel Syrien abgerungen hat, niemand dagegen fragt die Türkei nach der Vilayet Alexandretta mit der syrischen Hafenstadt Iskenderun, einem für Syrien viel wertvolleren Gebiet. Denn es ist allgemein bekannt: Die Türkei diskutiert über solche Dinge nicht.
Dementsprechend interessieren sich weder die türkische Armee noch das Parlament und die Regierung des Landes für den Standpunkt von Bagdad oder Washington in der Frage des Krieges zur Vernichtung der Terroristen. Die USA werden oft bezichtigt, die Annahme der Resolution der Senatskommission über das Genozid der Armenier im Osmanischen Reich habe diese Krise provoziert. Das stimmt aber nicht. Die Resolution bestärkte Ankara nur in seiner Weigerung, die Empfehlungen selbst seines Verbündeten zu beachten. Denn die Türken überhörten genauso die Bitten aus Washington, als Amerika beschloss, den Irak zu okkupieren: Sie verweigerten den amerikanischen Luftstreitkräften die Benutzung türkischer Flugplätze.
Die amerikanische Senatskommission hat heute wirklich die Erklärungen über die Gefährlichkeit der Handlungen der türkischen Armee für die Stabilität und den Frieden in der Region, für die Zukunft des Kurdenvolkes und die Integrität des Irak genauso überhört. Aber all das sind Probleme der USA. Ankara geht davon aus, dass die USA entscheiden müssen, wen sie als Verbündeten brauchen: die Türkei oder den noch nicht zustande gekommenen kurdischen Staat mit kurdischen Terroristengruppen auf dem Territorium des künftigen Kurdistan.
Was Ankara angeht, so ist eine militärische Operation so gut wie unvermeidlich, weil die Wahrscheinlichkeit sehr gering ist, dass die kurdischen Extremisten entwaffnet oder von Barzani unter Kontrolle gestellt würden, der heute die Situation im Nordirak de facto kontrolliert. Wenn Jalal Talibani, Präsident von ganz Irak, dafür ist, dass die PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) Kurdistan verlässt, spricht Barzani von einer Abwehr der türkischen Aggression, denn er kann sich einen Bürgerkrieg in Kurdistan nicht leisten. Und wenn eine kurdisch-irakische Volkswehr versucht, die PKK-Kämpfer selbstständig zu entwaffnen, bedeutet das eben einen Krieg. Die Kurden werden nicht darauf eingehen, sie haben an äußeren Gegnern genug.
Bedeutet aber das Problem in Irakisch-Kurdistan globale Erschütterungen für die Region? Eindeutig nicht. Das ist eine begrenzte militärische Operation. Sie kann die amerikanische Lage im Irak verkomplizieren, die Situation in der stabilsten Provinz des Irak verkomplizieren, die Unterbringung von USA-Stützpunkten im Raum von Erbil und Sulaymania verkomplizieren, wohin ein Teil der Truppen aus den zentralen Regionen des Landes verlegt werden soll, um zu demonstrieren, dass die Truppen aus dem Irak abziehen. Das ist, wie schon gesagt, ein Problem der USA.
Bedeutet all das den Zusammenbruch des Irak als Staat? Eigentlich ist dieser Zusammenbruch bereits eine vollendete Tatsache. Der Irak hat seine Flagge, seine Regierung, seinen Haushalt und Botschaften in verschiedenen Ländern, doch keine Hauptfunktionen: Der Staat als Institut, das die Sicherheit seiner Bürger gewährleistet, existiert nicht, wie er übrigens auch bei der Okkupationsverwaltung mit den USA, Großbritannien und Georgien an der Spitze nicht existiert. Deshalb würde ein Schlag der türkischen Armee gegen den Irak in der heutigen Etappe nichts verändern.
Dabei gibt es im Nahen Osten weit schwerere Krisen. Das sind vor allem die Millionen Flüchtlinge. Ihre Zahl aus dem Irak allein erreicht 6 Millionen. Das ist eine Tragödie, zu der die Destabilisierung der Situation in Jordanien und Syrien hinzukommt. Die Situation in Sudan erst ist eine Demonstration der absoluten Hilflosigkeit der Weltgemeinschaft und der unvermeidliche Zerfall dieses Landes schon im nächsten Jahrzehnt. Die Demographie der Region ist nicht einmal eine Katastrophe mehr, sie sprengt den Rahmen des Denkbaren, denn im Nahen Osten ist sie außer Kontrolle geraten. Die Bevölkerungszahlen in Ländern wie Ägypten oder Jemen steigern sich von Millionen zu Dutzenden Millionen, von Pakistan ganz zu schweigen.
Vor diesem gesamten Hintergrund verringern sich die Ressourcen, etwa das Wasser, stürmisch. Wirtschaft und Bildung verfallen, die Kinder beenden nicht einmal eine Schule. Deshalb ist es eigentlich überflüssig zu behaupten, eine türkische grenzüberschreitende Operation könnte die ohnehin entsetzliche Situation noch weiter verschlechtern.
Mehr noch, die Iran-Krise tritt in das Stadium einer neuen "Karibik-Krise" ein, und die Trends, die wir in Iran beobachten, nämlich das Gehen von Pragmatikern, besonders von Laridschani, bedeutet, dass die Ideologie für Iran wichtiger ist als ein Krieg. Und um der Erhaltung der harten ideologischen Kontrolle über das Land willen ist Iran zu militärischen Handlungen seitens Israels und der USA bereit, selbst wenn man die nukleare Gefahr aus Pakistan vergisst, wo sich die Kernwaffenarsenale in der Nähe der Übungslager für Terroristen befinden.
Und was ist schon vor diesem Hintergrund eine grenzüberschreitende Operation im Nordirak? Im heutigen Nahen Osten gibt es keine Wahl zwischen Gut und Schlecht, vielmehr ist da eine Wahl zwischen sehr Schlechtem und absoluter Katastrophe. Vorläufig ist sie nicht ausgebrochen, und die schlechten Nachrichten von der türkisch-irakischen Grenze sind lediglich ein Übergang von Schlechtem zu sehr Schlechtem.
Die Weltgemeinschaft wird nichts tun können. Weder die NATO noch Brüssel. Nur deshalb, weil sie es mit der Türkei zu tun haben. Die Türkei versteht, dass ihre Verbündeten und Partner von ihr mehr abhängen, als sie von ihnen. Die einzigen Freunde der Türkei sind, wenn man das Wort des russischen Diplomaten aus dem 19. Jahrhundert Gortschakow abwandelt, ihre Armee und ihre Flotte. Die Weltgemeinschaft wollte die Türkei aufteilen, damals war es die Entente, dann der Völkerbund im Rahmen seiner Begriffe. Das wird die Türkei niemals vergessen. Heute versteht sie, dass sie niemand in Brüssel und das vereinigte Europa aufnehmen wird. Das Beste, was ihr blühen kann, ist der Status eines privilegierten Partners oder eines Partners bei der mediterranen Zusammenarbeit.
Die Türkei wird ihre territoriale Integrität und Sicherheit verteidigen, ohne die Interessen der anderen zu berücksichtigen. Eine gute Lehre für Russland und China, die ihre Stärke ausbauen.
Jewgeni Satanowski ist Präsident des Nahost-Instituts in Moskau.

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

Kommentar

Und die Meinung dieses kostenlosen Artikels muss auch nicht der Inidia-Meinung übereinstimmen, aber ist zur Dokumentation bei uns allemal interessant genug.

-msr-